Brief der Mädchen aus dem ZV-Lager an die Jungen ihrer Klasse (Rostock 1982)
Rostock, den 24. 6. 1982
Ihr tapferen Häschen!
Heute am 8. Tag unserer Ausbildung haben wir Euren Brief erhalten. Es ist ein Trost für uns, daß es Euch nicht besser geht als uns. Euer Brief wurde mit Begeisterung aufgenommen. Wäre er eher angekommen, hätten wir Euch bei der Nachtwache besucht. Ohne Euch ist es hier auch nicht die Sahne. Wir wissen gar nicht, an wem wir unsere Wut auslassen sollen. Besonders nach MKE steigt unser Adrenalinspiegel. Nach längeren Ausdauerläufen, Kraftkreistraining und netten Wettspielchen sind wir nämlich nur "leicht" geschafft. Am Mittwoch haben wir Bekanntschaft mit der Bevölkerungsschutzmaske geschlossen und auf Zeit das Aufsetzen geübt. Unsere Gruppenführer standen mit der Stoppuhr daneben und prophezeiten uns, ob wir noch leben oder nicht. Das waren schöne Aussichten. Die Flure unserer Schule sind durch unser Bergungstraining, da wir uns auf dem Fußboden gegenseitig retten mußten, sauber wie nie zuvor.
Frau Malinek war hocherfreut, als wir gestern die höchst mögliche Punktzahl erhielten (10 Punkte). Heute Nacht wird sie kaum schlafen können, weil wir nur 7 Punkte bei Herrn Rahn erreichen konnten. Übrigens sollen wir Euch einen schönen Gruß von ihr übermitteln und Ihr sollt Euch ja schön anstrengen.
Und zum Schluß noch ein Ratschlag von uns.
Haltet durch und seht nicht alles so verbissen!
Heike, Anke, Jana, Gudrun, Jutta, Kathrin, Gundula, Sybille, Annett, Karen, Susanne, Wiebke, Anke K., Jana B., Antje und Astrid
(Ruth Reiher (Hg.) (1995): Mit sozialistischen und anderen Grüßen. Porträt einer untergegangenen Republik in Alltagstexten. Berlin, S. 66/67. - Namen wurden geändert.)