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Phyſiologie.</head> <div n="238."> <p> Daſs die Gewächse leben, iſt wohl keinem Zwei=fel<lb/> unterworfen. Ihr Entwickeln vom Saamen <lb/> bis zu einer beſtimmten Geöſse, das Entſtehen<lb/> der Blume oder des friſchen Saamens, der wie=der<lb/> in Pflanzen derſelben Art, von der er ab=ſtammt,<lb/> verwandelt wird. Dieſer ewige Kreis=lauf<lb/> des Bildens, Entſtehens und Vergehens der=ſelben<lb/> beweiſet gar deutlich, daſs ſie leben. Le=ben<lb/> im weitläuftigſten Sinne ſetzt Empfindung<lb/> und Bewuſstſeyn zum voraus. Zum Empfinden<lb/> werden Nerven und zum Bewuſstseyn eine Seele<lb/> erfordert, die man doch den Gewächſen nicht<lb/> mit Gewiſsheit zueignen kann. So wie es unter<lb/> den Thieren vom Menſchen bis zur Milbe all=mählig<lb/> abnehmende Stufen des Empfindens und<lb/> Bewuſstseyns giebt, eben ſo finden wir Beyſpiele<lb/> unter den Gewächſen, die etwas Vollkommne=res<lb/> bey einigen vermuthen lafſen.<lb/> </p> <p> Am thierischen Körper hat <unclear reason="stain on second letter, probably 'a'">man</unclear> folgende<lb/> <pb n="282"/> Kräfte: die Schnellkraft (<foreign xml:lang="lat">Elaſticitas</foreign>), die Zuſam=menziehung<lb/> (<foreign xml:lang="lat">Contractilitas</foreign>), die Reizbarkeit (<foreign xml:lang="lat">Ir=ritabilitas</foreign>),<lb/> die Empfindung (<foreign xml:lang="lat">Senſilitas</foreign>), die Le=benskraft<lb/> (<foreign xml:lang="lat">Vis vitalis</foreign>), und den Bildungstrieb<lb/> (<foreign xml:lang="lat">Niſus formativus</foreign>) bemerkt. Dieſe verſchiede=nen<lb/> Kräfte, welche vom Leben des Thiers un=zertrennlich <lb/> ſind, kann man auch den Gewäch=ſen<lb/> nicht abſprechen, nur daſs ſie bey dieſen in<lb/> geringerem Grade ſich äuſsern.<lb/> </p> <p> Die Schnellkraft iſt das Beſtreben eines biegſa=men<lb/> Körpers nach dem Ausdehnen oder Zuſam=mendrücken,<lb/> ſeine vorige Geſtalt mit Gewalt wie=der<lb/> einzunehmen. Dieſe Kraft zeigt ſich noch<lb/> beym Holze und verſchiedenen verdickten Pflan=zenſaften.<lb/> </p> <p> Die Zuſammenziehung, die man auch eine<lb/> todte Kraft (<foreign xml:lang="lat">Vis mortua</foreign>) zu nennen pflegt, iſt den<lb/> Faſern des HoIzes eigen. Sie beſteht in einer Aus=dehnung<lb/> und Zuſammenziehung, welche durch<lb/> Feuchtigkeit oder Hitze bewürkt wird. Nicht bloſs<lb/> bey friſchen Gewächſen, ſondern auch bey trock=nen<lb/> iſt ſie zu finden.<lb/> </p> <p> Die Reizbarkeit iſt eine Kraft, die ſich nur<lb/> bey der lebenden Pflanze zeigt und mit dem To=de<lb/> verſchwindet. Sie äuſsert sich bey einigen<lb/> Gewächſen ſehr deutlich; wenn man einen Theil<lb/> derſelben berührt, ſo zieht er ſich ſchnell zuſam=men.<lb/> Man kann dieſe Kraft nicht für bloſses Zu=sammenziehen<lb/> <pb n="283"/> (<foreign xml:lang="lat">Contractilitas</foreign>) halten, weil ſie mit<lb/> dem Verſchwinden des Theils, oder mit dem<lb/> Tode aufhört, und sich bey auſgetrockneten Ge=wächſen<lb/> nicht mehr zeigt. Beyspiele geben <foreign xml:lang="lat">Mi=moſa<lb/> ſenſitiva</foreign>, <foreign xml:lang="lat">pudica</foreign>, <foreign xml:lang="lat">Dionaea Muſcipula</foreign>,<lb/> <foreign xml:lang="lat">Smithia ſenſitiva</foreign>, <foreign xml:lang="lat">Oxalis ſenſitiva</foreign> u. m. a. So<lb/> lange dieſe Gewächſe leben, ziehn ſie durch eine<lb/> ſchwache Berührunn ihre Blätter zuſammen. Die<lb/> Staubgefaſse einiger Gewächſe, als <foreign xml:lang="lat">Berberis vul=garis</foreign>,<lb/> <foreign xml:lang="lat">Parietaria</foreign> u. a. m. legen ſich, ſo lange ſie<lb/> friſch ſind, durch eine Berührung auch ſchnell<lb/> zuſammen.<lb/> </p> <p> Die Empfindung wird bey den Thieren durch<lb/> die Nerven bewürkt. Ob nun Pflanzen würk=lich<lb/> empfinden, iſt eine Frage, die noch lange<lb/> nicht mit Gewiſsheit entſchieden iſt. Herr <hi rend="italics">Per=cival</hi><lb/> hat zwar dies mit vielen Erfahrungen be=weiſen<lb/> wollen, die aber doch nichts Gewiſſes ent=ſcheiden.<lb/> Er geht von dem Gedanken aus, daſs<lb/> Inſtinkte bey den Gewächſen wären, und wo<lb/> Instinkt iſt, muſste auch Empfindung ſeyn. Sei=ne<lb/> Beweiſe über den Inſtinkt der Gewächſe ſchei=nen<lb/> aber die Meynung nicht zu beſtätigen. Em=pfindung<lb/> iſt von der Reizbarkeit darin verſchie=den,<lb/> daſs der Körper, welcher empfindet, ſich<lb/> deſſen auch bewuſst ſeyn muſs. Und dies mit<lb/> Gewiſsheit bey den Gewächſen zu erweiſen,<lb/> möchte wohl vielen Schwierigkeiten unterwor=fen<lb/> <pb n="284"/> ſeyn. Könnte etwas Empfindung im Pflan=zenreiche<lb/> beweiſen, ſo wären es folgende Din=ge:<lb/> der Schlaf, das Oeffnen und Schlieſsen ver=schiedener<lb/> Blumen. Die meiſten Pflanzen mit<lb/> gefiederten Blättern, legen ſie zu einer bestimm=ten<lb/> Zeit zuſammen. <foreign xml:lang="lat">Mimoſa Libbeck</foreign> pflegt<lb/> des Abends um 4 Uhr ihre Blätter zu ſchlieſ=sen.<lb/> <foreign xml:lang="lat">Tamarindus indica</foreign> legt gegen Abend ſei=ne<lb/> Blätter zuſammen, und bedeckt ganz dicht<lb/> die Blume und jungen Früchte. Die Blumen<lb/> der <foreign xml:lang="lat">Nymphaea alba</foreign> ſchlieſsen ſich nach Sonnen=untergang,<lb/> und was merkwürdig iſt, tauchen un=ter<lb/> Waſſer. Viele Blumen aus der Klaſſe <foreign xml:lang="lat">Syn=geneſia,</foreign><lb/> beſonders <foreign xml:lang="lat">Bellis perennis</foreign>, <foreign xml:lang="lat">Calendula<lb/> pulvialis</foreign> ſchlieſsen ſich, wenn ein Regen kom=men<lb/> ſoll. Beweiſen dieſe Thatſachen nicht, daſs<lb/> wirklich ein gewiſſer Grad des Empfindens bey<lb/> den Gewächſen ſtatt findet?<lb/> </p> <p> Die Lebenskraft (<foreign xml:lang="lat">Vis vitalis</foreign> ſ. <foreign xml:lang="lat">vita propria</foreign>)<lb/> iſt eine Kraft, die gewiſſen Theilen eigen iſt, und<lb/> die Verrichtung derſelben befördert. Hieher ge=hört<lb/> die Kraft, welche die Säfte im Pflanzenkör=per<lb/> forttreibt. Daſs die Säfte durch eine gewiſſe<lb/> Kraft fortgetrieben werden, läſst ſich leicht be=weiſen.<lb/> Wenn man eine Pflanze, welche in<lb/> einen Topf geſetzt iſt, allmählig durch Entzie=hung<lb/> des Waſſers welken läſst, ſo wird, wenn<lb/> die Pflanze auch alle Theile behalten hat, ſie<lb/> <pb n="285"/> nachher nicht wieder im Stande seyn, man mag<lb/> ſie noch ſo ſtark begieſsen, fortzuwachſen; es<lb/> fehlt hier die Lebenskraft, welche vorher den<lb/> Saft in die Höhe trieb.<lb/> </p> <p> Der Bildnngstrieb (<foreign xml:lang="lat">Niſus formativus</foreign>) ist eine<lb/> Kraft, verlorne oder verlezte Theile wieder zu<lb/> erſetzen oder zu ergänzen. Wenn man einen<lb/> Baum aller Aeſte beraubt, ſo wird er wieder neue<lb/> hervorbringen. Wird die Rinde verlezt, ſo erſe=tzen<lb/> die nächſten Gefäſse des Baſtes das Fehlende,<lb/> und die Wunde heilt zu. Nicht alle Gewächſe<lb/> haben dieſe Kraft in gleichem Grade; einigen<lb/> ſcheint ſie ganz zu fehlen, da hingegen andere<lb/> deſto ſtärker ſie äuſsern.<lb/> </p> </div> <div n="240."> <p> Jene Kräfte, die man unleugbar bey den<lb/> Thieren dargethan hat, find auch, wie wir ge=ſehn<lb/> haben, den Gewächſen eigen. Man müſste<lb/> denn das Empfinden ausnehmen, was vielleicht<lb/> einige nur für einen erhöhten Grad der Reizbar=keit<lb/> halten. Es <unclear reason="frägt">fragt</unclear> ſich aber, ob bey einigen<lb/> Thieren, beſonders aus der Familie der Wür=mer,<lb/> das Empfinden deutlicher, als bey einigen<lb/> Gewächſen iſt, und ob man die Gränze feſtſe=tzen<lb/> kann, wo dieſe Kraft aufhört. Man wird<lb/> zwar einwenden, daſs nur einige Gewächſe etwas<lb/> dem Empfinden Aehnliches äuſsern, aber bey<lb/> <pb n="286"/> weitem nicht alle, und daſs endlich noch keine<lb/> Nerven wären entdeckt worden, worin doch nur<lb/> allein bey den Thieren dieſe Kraft liegt. Sind<lb/> aber immer Nerven, und zwar bey so ganz ver=ſchieden<lb/> gebildeten Körpern, wie die Gewächſe<lb/> ſind, nöthig, um ihnen Empfindung zuzueig=nen;<lb/> und kennen wir den innern Bau derſelben<lb/> ſchon ſo genau, ihnen dergleichen ganz abſpre=cben<lb/> zu wollen; und wer bürgt uns endlich da=für,<lb/> daſs die Gewächſe, bey denen wir dieſe Kraft<lb/> nicht bemerken können, ſie würklich nicht ha=ben?<lb/> So lange wir noch nichts entſcheidend Wi=derſprechendes<lb/> darüber wiſſen, ſehe ich nicht<lb/> ein, warum man bey den Pflanzen kein Em=pfinden<lb/> annehmen will.<lb/> </p> </div> <div n="241"> <p> In den frühſten Zeiten haben einige Natur=forscher<lb/> den Gewächſen eine Seele zueignen<lb/> wollen. Nachher iſt dies ganz in Vergeſſen=heit<lb/> gerathen, und nur erſt im vorigen Jahr=zehend<lb/> hat <hi rend="italics">Percival</hi> es zu beweiſen geſucht.<lb/> Seine Beweiſe ſind dieſe: haben Pflanzen Em=pfindung,<lb/> ſo müſſen ſie ſich deſſen, wenn<lb/> auch nur ganz dunkel, bewuſst ſeyn; und<lb/> ſind ſie ſich deſſen bewuſst, ſo haben ſie auch<lb/> eine Seele. Das Empfinden und Bewuſstſeyn<lb/> der Gewächſe, ſagt er, lieſse ſich aus dem Saa=men<lb/> beweiſen, legt man dieſen verkehrt in die<lb/> <pb n="287"/> Erde, ſo dreht er ſich beym Keimen um, und<lb/> kommt eben ſo gut, wie ordentlich <unclear reason="geſäeter">geſaeter</unclear><lb/> zum Vorſchein. Pflanzt man ferner eine Ho=pfenſtaude,<lb/> so werden ihre Stengel immer den<lb/> nächſten Stock oder Stamm ſuchen, um in die<lb/> Höhe zu ranken. Mehrere ähnliche Beyſpiele<lb/> übergehn wir, um nicht zu <unclear reason="weitlauftig">weitläuftig</unclear> zu ſeyn.<lb/> Selbſt Hedwig, der gröſste Pflanzenphyſiolog<lb/> unſers Jahrhunderts verſichert, bey ſtarker Ver=gröſserung<lb/> etwas geſehn zu haben, was ihn ver=muthen<lb/> läſst, ein <foreign xml:lang="grc">το ψυχὶδιον</foreign> (etwas Seelenartiges)<lb/> anzunehmen. Sollte freylich Empfindung, was<lb/> ich nicht mit Gewiſsheit zu behaupten wage, den<lb/> Gewächſen eigen ſeyn, ſo glaube ich, daſs man<lb/> den geringſten Grad eines Bewuſstſeyns auch an=nehmen<lb/> müſſe.<lb/> </p> </div> <div n="242"> <p> Zwiſchen den Pflanzen und Thiefen haben in<lb/> ihter äuſsern Geſtalt viele Naturforſcher Aehnlich<lb/> keiten geſucht. Ariſtoteles hat ſchon die Pflanzen<lb/> umgekehrte Thiere genannt. Linné führte dieſe<lb/> Idee aus: er nannte die Wärme das Herz, die<lb/> Erde den Magen, und die Blätter die Lunge der<lb/> Gewächſe. Es bedarf wohl keiner weitern Er=klärung,<lb/> daſs dieſe Vergleichungen ziemlich<lb/> gesucht und unnatürlich ſind. Am glücklichſten<lb/> hat der unvergeſsliche Bonnet dieſe Materie aus<lb/> geführt. Mit den gröſsten Scharfſinn und der<lb/> <pb n="288"/> glücklichſten Einbildungskraft macht er zwiſchen<lb/> dem Eye, der Leibesfrucht, der Ernährung, dem<lb/> Wachsthum, den Befruchtungsorganen, und an=dern<lb/> Theilen der Thiere die treffendſten Verglei=chungen<lb/> So vollſtändig auch dieſer groſse Natur=kündiger<lb/> die Materie abgehandelt hat, ſo zeigen<lb/> ſich doch einige Umſtände, die er überſehn zu<lb/> haben ſcheint, und die wir im Zuſammenhang<lb/> mit einigen bekannten anführen wollen.<lb/> </p> </div> <div n="243"> <p> Thiere und Pflanzen kommen darin überein,<lb/> daſs ihr Körper nach dem Leben zerſtört wird.<lb/> Alles, was organiſch heiſst, iſt mehr oder weni=ger<lb/> der Verweſung unterworfen. Im Mineral=reiche<lb/> finden wir zwar auch etwas Aehnliches,<lb/> z. B. Porphir, Kies und andere Körper zerfallen<lb/> in Staub, es iſt aber keine Gährung, wie bey<lb/> Thieren und Pflanzen, ſondern ein Zertheilen,<lb/> und die Stoffe bleiben dieſelben; organiſche Kör=per<lb/> aber werden dadurch ganz verwandelt.<lb/> </p> <p> Thiere athmen eine Menge Luft ein, und<lb/> ſtoſsen ſie wieder von ſich, eben ſo die Gewäch=ſe,<lb/> nur mit dem Unterſchiede, daſs die Thiere<lb/> Lebensluft einathmen, aber phlogiftiſche wieder<lb/> ausſtoſsen; Pflanzen hingegen phlogiftiſche Luft<lb/> begierig an ſich ziehn und unter gewiſſen Um=ſtänden<lb/> Lebensluft aushauchen.<lb/> </p> <pb n="289"/> <p> Thiere begatten ſich, gebären, leben und<lb/> sterben; die Pflanzen begatten ſich, denn in der<lb/> Blume ſind die Werkzeuge der Befruchtung ent=halten;<lb/> ſie gebären, das heiſst, ſie bringen ihre<lb/> Früchte, ſie leben, wie wir gezeigt haben, und<lb/> endlich hören ſie auf zu leben, das heiſst, ſie<lb/> ſterben.<lb/> </p> <p> Thiere, beſonders die kleineren, wohin die<lb/> Polypen, Eingeweidewürmer und andere gehö=ren,<lb/> vermehren ſich auch durch Zertheilung ih=res<lb/> Körpers. Die meiſten Gewächſe können ſich<lb/> durch Zertheilung ihres Körpers vermehren, z. B.<lb/> Weiden u. ſ. w. Thiere haben eine beſtimmte<lb/> Zeit der Begattung; Pflanzen tragen auch zu<lb/> einer gewiſſen Zeit ihre Blumen, und machen<lb/> davon keine Ausnahme. Alle Gewächſe aus<lb/> der ſüdlichen Halbkugel, die, wenn wir Winter<lb/> haben, in ihrem Vaterlande der Sonnenhitze aus=gesetzt<lb/> ſind, blühen doch in unſern Glashäuſern<lb/> gerade im Winter, alſo zu der Zeit, wo ſie in<lb/> ihrem natürlichen Standorte Blumen bringen.<lb/> </p> <p> Thiere bewegen ſich freywillig von einem<lb/> Flecke zum andern, doch thun ſie dies nicht<lb/> alle; viele, z. E. die Auſter, einige Eingeweide=würmer,<lb/> die Polypen u. a. ſind beſtändig an ir=gend<lb/> einem Körper befeſtigt. Hierin kommen<lb/> die Pflanzen rnit den ebengenannten Würmern<lb/> überein. Die meiſten haben einen beſtimmten<lb/> <pb n="290"/> Ort, an dem ſie feſtgewachſen ſind; nur weni=ge<lb/> Gewächſe ſchwimmen, auf der Oberfläche<lb/> des Waſſers umhe. Die Orchisarten, welche<lb/> hodenförmige und handförmige Wurzeln haben<lb/> (§.8.N.12.13.), verlieren alle Jahr eine Wur=zel,<lb/> und ſetzen auf der entgegengeſetzten Seite<lb/> eine neue an, dadurch verändern ſie jährlich ih=ren<lb/> Standort; ſo daſs ſie nach vielen Jahren auf<lb/> einen ganz andern Fleck zu ſtehn kommen.<lb/> Eben ſo ſind die kriechenden Wurzeln, die un=ter<lb/> der Erde fortgehn, und auch die kriechenden<lb/> Stengel als wandernde Gewächſe zu betrachten.<lb/> Die Blätter des Hedyſarum gyrans bewegen ſich<lb/> freywillig auf und ab; dadurch iſt dieſes Ge=wächs<lb/> ſehr nahe mit dem Thierreiche verwandt.<lb/> Verſchiedene Blurnen drehen ſich nach der Son=ne,<lb/> ſo wie einige rankende Gewächſe Bäume oder<lb/> andere Gegenſtände ſuchen, um in die Höhe zu<lb/> klettern. Man kann wenigſtens nicht leugnen,<lb/> daſs dieſe Thatſachen einige Aehnlichkeiten mit<lb/> den Thieren beweiſen.<lb/> </p> <p> Das Leben der Thiere iſt nach den Klaſſen<lb/> und Arten ſehr verſchieden. Es giebt Thiere,<lb/> die hundert Und mehrere, oder ein einziges Jahr,<lb/> wenige Monathe, Wochen, Tage, oder wohl<lb/> gar nur einige Stunden zu leben haben. Die In=ſekten<lb/> leben nur wenige Zeit, und einige ganz<lb/> <pb n="291"/> kleine Würmer haben eine noch kürzere Periode<lb/> des Lebens; andere Thiere erstarren, und leben<lb/> zu einer feſtgeſetzten Zeit wieder auf, z. B. der<lb/> Froſch. Einige andere ſcheinen todt zu seyn,<lb/> und erhalten doch wieder Leben, ſobald ihnen<lb/> das fehlende Element, worin allein ſie nur mun=ter<lb/> seyn können, mitgetheilt wird, dahin gehört<lb/> ein Inſekt, Monoculus, das ſich im Waſſer auf=hält,<lb/> und wenn dies austrocknet, todt zu ſeyn<lb/> ſcheint, ſobald aber ein Regen eintritt, wieder<lb/> auflebt. Man will in fremden Welttheilen noch<lb/> einige andere Thiere bemerkt haben, die ein<lb/> eben ſo zähes Leben beſitzen. Unter den Pflan=zen<lb/> haben wir die Eiche, die fünf- bis ſechshun=dert<lb/> und mehrere Jahre alt wird. Der Affen=brodbaum<lb/> (<foreign xml:lang="lat">Adanſonia digitata</foreign>), welcher in Afri=ka<lb/> ſehr gemein iſt, wird wenigſtens tauſend Jahr,<lb/> wo nicht noch einmal ſo alt. Alle Sommerge=gewächſe<lb/> leben nur ein Jahr, bisweilen nur drey<lb/> bis vier Monathe. Die Pilze haben noch eine<lb/> kürzere Dauer, wenige werden ein oder mehrere<lb/> Jahre alt, aber die meiſten exiſtiren nur einige<lb/> Tage, die allerkleinſten haben vielleicht eine<lb/> noch kürzere Dauer, z. B. Mucor Lycogala. Die<lb/> Staudengewächſe ſterben im Herbſte über der<lb/> Wurzel ab, leben aber mit dem Frühlinge wie=der<lb/> auf, und treiben neue Schöſslinge. Die Mooſe<lb/> haben von allen Gewächſen das zäheſte Leben.<lb/> <pb n="292"/> Im Sommer ſcheinen ſie todt zu ſeyn, im Herbſte<lb/> aber leben ſie wieder auf und wachſen fort.<lb/> </p> </div> <div n="244"> <p> Wenn gleich zwiſchen den Thieren und Ge=wächſen<lb/> eine groſse Aehnlichkeit nicht zu leug=nen<lb/> iſt, ſo zeigen ſich doch auf der andern Seite<lb/> viele Unterſchiede an den Pflanzen, welche kei=ne<lb/> Aehnlichkeit mit den Thieren haben. Die<lb/> Thiere ſind mit Knochen, Muskeln, Schlag-und<lb/> Pulsadern, lymphatiſchen Gefäſsen, Drüſen und<lb/> Nerven verſehn. Pflanzen hingegen haben ei=nen<lb/> ganz verſchiedenen Bau. Ihre Maſchine<lb/> ruht nicht auf Knochen, und Muskeln haben ſie<lb/> gar nicht. Sie ſind ein Bündel von Gefäſsen,<lb/> mit einem Zellengewebe und einer Menge von<lb/> Häuten bedeckt; daher kann man eigentlich im<lb/> ſtrengſten Verſtande keine Faſer (<foreign xml:lang="lat">Fibra</foreign>), woraus<lb/> bey den Thieren die Muskeln beſtehn, anneh=men.<lb/> Was man am Pflanzenkörper Faſern nennt,<lb/> ſind holzige Gefäſse, und von den thieriſchen<lb/> Faſern ganz verſchieden gebildete Körper.<lb/> </p> <p> Die Thiere ſind, einige Würmer ausgenom=men,<lb/> einfache Geſchöpfe, die nicht ohne Scha=den<lb/> getheilt werden können. Pflanzen, allein<lb/> die Sommergewächſe ausgenommen, ſind zu=ſammengeſetzte<lb/> Körper. Jede Knoſpe eines<lb/> Baums geht aus, ſobald ſie geblühet hat, und <lb/> <pb n="293"/> iſt als eine einzelne Pflanze anzuſehn, daher man<lb/> jeden Baum oder Strauch mit Recht eine Samm=lung<lb/> mehrerer Pflanzen nennen kann. Die Pal=men,<lb/> welche niemals Aeſte, ſondern nur einen<lb/> einfachen Strunk mit Blättern beſetzt haben,<lb/> können nur als eine einzige Pflanze angeſehen<lb/> werden. </p> <p> Thiere wachſen nur eine beſtimmte Zeit,<lb/> dann hören ſie auf gröſser zu werden, und kön=nen<lb/> nur in der Dicke, aber nicht in der Länge<lb/> zunehmen. Die Fiſche und einige Amphibien<lb/> machen allein eine Ausnahme von dieſer Regel,<lb/> weil ſie bis zu ihrem Tode fortwachſen. Die<lb/> Pflanzen hören niemals auf zu wachſen, als bis<lb/> endlich der Tod ihren fernern Wachsthum be=gränzt.<lb/> </p> <p> Die chemiſchen Beſtandtheile des Thieres im<lb/> Allgemeinen ſind Kalcherde, Phosphorſäure,<lb/> flüchtiges Laugenſalz, Fett oder Talg und Leim.<lb/> Pflanzen im Allgemeinen beſtehn aus Kalch=erde,<lb/> Pflanzenſäure, fixem Laugenſalze, Oel<lb/> und Schleim. Daſs hier viele Ausnahmen ſtatt<lb/> finden, verſteht sich von ſelbſt; die Beſtandtheile<lb/> des Bodens, worauf ſie wachſen, und andere<lb/> zufällige Dinge, können darauf Einfluſs haben.<lb/> Alle Gewächſe am Meeresſtrande haben andere<lb/> Beſtandtheile, als ſie in fetter Gartenerde bey ſich<lb/> führen. Die Pflanzen aus der Klaſſe <foreign xml:lang="lat">Tetradyna=mia</foreign><lb/> <pb n="294"/> haben flüchtiges Laugenſalz, einige Gräſer<lb/> Phosphorſäure und thieriſchen Leim u. d. m. </p> </div> <div n="245"> <p> Es würde nicht ſchwer ſeyn, zwiſchen<lb/> den Thieren und Gewächſen bis in den kleinſten<lb/> Theil Aehnlichkeiten aufzufinden. Im Ganzen<lb/> aber weicht doch der Bau der Gewächſe ſehr von<lb/> den Thieren ab. Der Stamm derſelben beſteht<lb/> aus der <hi rend="italics">äuſsern Rinde</hi> (<foreign xml:lang="lat">Epidermis</foreign>), die ſich<lb/> bey den ältern Gewächſen abſchält, aus der <hi rend="italics">Rin=de</hi><lb/> (<foreign xml:lang="lat">Cortex</foreign>), aus dem <hi rend="italics">Baſte</hi> (<foreign xml:lang="lat">Liber</foreign>), dem<lb/> <hi rend="italics">Splint</hi> (<foreign xml:lang="lat">Alburnum</foreign>), dem <hi rend="italics">Holze</hi> (<foreign xml:lang="lat">Lignum</foreign>),<lb/> und aus dem <hi rend="italics">Marke</hi> (<foreign xml:lang="lat">Medulla</foreign>). Nicht holzar=tige<lb/> Gewächſe haben einen Stamm, der aus der<lb/> <hi rend="italics">äuſsern Haut</hi> (<foreign xml:lang="lat">Epidermis</foreign>), der <hi rend="italics">Rinde</hi> (<foreign xml:lang="lat">Cor=tex</foreign>),<lb/> dem <hi rend="italics">Splinte</hi> (<foreign xml:lang="lat">Alburnum</foreign>), dem <hi rend="italics">Fleiſche</hi><lb/> (<foreign xml:lang="lat">Parenchyma</foreign>), und dem <hi rend="italics">Marke</hi> (<foreign xml:lang="lat">Medulla</foreign>)<lb/> beſteht. Es giebt aber auch hierin noch verſchie=dene<lb/> Abſtufungen, indem die krautartigſten Ge=wächſe<lb/> bisweilen bloſs aus Mark, Fleiſch und<lb/> Rinde zuſammengeſetzt ſind. </p> <p> Das Holz, der Splint und der Baſt ſind dicht<lb/> zuſammengedrängte Gefäſse von verſchiedener<lb/> Art. In der erſten Zeit ſind die Gefäſse noch<lb/> weich und ſaftreich, alsdann nennt man ſie Baſt,<lb/> ſobald ſie ſich aber mehr verhärten, nennt man<lb/> ſie Splint; und ſind ſie ganz verhärtet, ſo führen<lb/> <pb n="295"/> ſie den Namen des Holzes. Die Rinde, die<lb/> man auch bey den krautartigen Gewächſen <hi rend="italics">Haut</hi><lb/> (<foreign xml:lang="lat">Cutis</foreign>) nennt, iſt mit eben ſolchen Gefäſsen<lb/> verſehn, ſie iſt nur am Baume mehr verhärtet.<lb/> Die äuſsere Rinde aber beſteht aus ganz verſchie=denen<lb/> Gefäſsen; das Mark und Fleiſch aber ſind<lb/> aus Zellengeweben (§. 250.) zuſammengeſetzt.<lb/> </p> </div> <div n="246"> <p> In dem Gewächskörper ſind drey Arten von<lb/> Gefäſsen, <hi rend="italics">faſrige</hi> oder <hi rend="italics">Faſergefäſse</hi> (<foreign xml:lang="lat">Vaſa fi=broſa</foreign>),<lb/> <hi rend="italics">ſchraubenförmige oder Spiralgefäſse</hi> (<foreign xml:lang="lat">Va=ſa<lb/> ſpiralia</foreign>), und <hi rend="italics">Markgefäſse</hi> (<foreign xml:lang="lat">Vaſa medul=laria</foreign>)<lb/> entdeckt worden. Aus dieſen Gefäſsen,<lb/> die vom <hi rend="italics">Marke</hi> und einem feinen <hi rend="italics">Zellengewebe</hi><lb/> (<foreign xml:lang="lat">Contextus celluloſus</foreign> ſ. <foreign xml:lang="lat">Parenchyma</foreign>)<lb/> noch unterſtützt werden, iſt jedes Gewächs zu=ſammengeſetzt.<lb/> Es iſt aber wahrſcheinlich, daſs<lb/> bey fernerem aufmerkſamern, Beobachten des in=nern<lb/> Baues noch andere Gefäſse entdeckt wer=den<lb/> können.<lb/> </p> </div> <div n="247"> <p> Die faſrigen Gefäſse (<foreign xml:lang="lat">Vaſa fibroſa</foreign>) find hohle<lb/> dünne Kanäle, welche aus einzelnen Gliedern<lb/> beſtehn. Jedes Glied iſt an beyden Enden enger,<lb/> und mit einem häutigen Rand verſehn, der eine<lb/> kleine Oefnung bildet. Die inneren Wände der<lb/> <pb n="296"/> Gefäſse ſind mit ſehr zarten ſchlaffen Haaren be=ſetzt;<lb/> wenn aber die Gefäſse ſchon holziger ge=worden<lb/> ſind, legen ſich die Haare dicht an die<lb/> Seitenwände, und machen ſie ganz rauh.<lb/> </p> <p> Die kleinen Blaſen oder Glieder, woraus die<lb/> faſrigen Gefäſse zuſammengeſetzt ſind, haben an<lb/> einer Pflanze, je nachdem das Zellengewebe auf<lb/> ſie drückt, eine abweichende Geſtalt. Sie find<lb/> länglicht, kugelrund, zuſammengedrückt, ke=gelförmig<lb/> u. f. w. Da, wo ſich der Stengel en=digt<lb/> und die Wurzel anfängt, ſind die Gefäſse<lb/> am ſtärkſten, nehmen aber nach oben und un=ten<lb/> in ihrer Weite allmählig ab.<lb/> </p> <p> Einige Kräuterkenner haben behauptet, daſs<lb/> die faſrigen Gefäſse von dem Zellengewebe gebil=det<lb/> würden. Es iſt aber nicht wahrſcheinlich, daſs<lb/> ſie aus einer ſo unregelmäſsigen Haut entſtehn,<lb/> weil man ſie ſchon im Keime des Saamens findet.<lb/> </p> <p> Die faſrigen Gefäſse gehn ſcheitelrecht durch<lb/> alle Theile des Gewächſes, und ſtehn in dichten<lb/> Bündeln, die allezeit ſchraubenförmige Gefäſse<lb/> einſchlieſsen, und durch ein dichtes Zellenge=webe<lb/> verbunden ſind, zuſammen. Dieſe Bün=del<lb/> (<foreign xml:lang="lat">Faſciculi</foreign>) von Gefäſsen haben einen linien=förmigen<lb/> Zuſammenhang, der zirkelförmige,<lb/> eyförmige oder dreyeckige Geſtalten, wenn man<lb/> den Stengel horizontal durchſchneidet, be=ſchreibt.<lb/> Bey den Sommergewächſen machen<lb/> <pb n="297"/> ſie nur einen Kreis, bey den Bäumen und<lb/> Sträuchern aber legt ſich alle Jahr ein neuer<lb/> Kreis oder Ring von faſrigten Gefäſsen an, der<lb/> von dem vorhergehenden durch ein dichtes Zel=lengewebe<lb/> <unclear reason="either there is a stain or the letter is only printed half">getrenn?</unclear> iſt. Je älter nun ein Strauch<lb/> oder baumartiges Gewächs wird, deſto feſter und<lb/> härter werden die innern Ringe oder Gefäſse,<lb/> und dadurch entſtehn Holz, Splint und Baſt.<lb/> Aus dieſen concentriſchen Ringen, welche die<lb/> Gefäſse bilden, läſst ſich ſehr leicht, bey einem<lb/> horizontal durchſchnittenen Baum, das Alter<lb/> deſſelben beſtimmen. Die Geſtalt der kleinen<lb/> Bläschen, woraus jedes Gefäſs zuſammengeſetzt<lb/> iſt, muſs, nachdem es mehr oder weniger ver=holzt<lb/> iſt, ein verſchiedenes Anſehn haben, und<lb/> man würde eine groſse Menge von beſondern<lb/> Gefäſsen annehmen müſſen, wenn man ſie nach<lb/> der Geſtalt, welche ſie jedesmal haben, als ver=schiedene<lb/> Arten anſehn wollte.<lb/> </p> </div> <div n="248"> <p> Die ſchraubenförmigen Gefäſse (<foreign xml:lang="lat">Vala ſpiralia</foreign>)<lb/> ſind wie eine Uhrfeder dichtgewundene ſehr zarte <lb/> dünne elaſtiſche Schläuche. Dieſes Gefäſs win=det<lb/> ſich allezeit ſo dicht, daſs in der Mitte ein hoh=ler<lb/> Zwiſchenraum bleibt. Gewöhnlich iſt der=gleichen<lb/> Gefäſs rund, zuweilen aber durch den<lb/> gemeinſchaftlichen Druck der nebenſtehenden<lb/> <pb n="298"/> eckigt. Die Höhlung, welche die Spiralgefäſse<lb/> bilden, iſt innerhalb mit einer ſehr feinen Haut<lb/> bedeckt, die vorzüglich bey den weitläuftiger ge=wundenen<lb/> zum Vorſchein kommt. Der Raum,<lb/> den ſie umſchreiben, iſt in Rückſicht der andern<lb/> Gefäſse groſs, nach der Wurzel zu aber am gröſs=ten.<lb/> So wie die faſrigen Gefäſse ſind auch dieſe<lb/> in Bündel zuſammengedrängt, aber von den fa=ſrigen<lb/> dicht umgeben. Grew will bemerkt ha=ben,<lb/> daſs die ſchraubenförmigen Gefäſse an der<lb/> Wurzel von der rechten abwerts zur linken, an<lb/> der Pflanze über der Erde von der linken abwerts<lb/> zur rechten gedreht ſind.<lb/> </p> </div> <div n="249"> <p> Die Markgefäſse (<foreign xml:lang="lat">Vaſa medullaria</foreign>) kom=men<lb/> in ihrem Bau den faſrigen nahe, ſie unter=ſcheiden<lb/> ſich aber von dieſen durch ihre Rich=tung<lb/> und Lage. Sie machen niemals Bündel<lb/> aus, ſondern laufen ohne gewiſſe Ordnung, in<lb/> schräger oder horizontaler Richtung durch das<lb/> Mark und durch das Zellengewebe, vertheilen<lb/> ſich in den Häuten der Gefäſse, und bilden end=lich<lb/> in der äuſsern Haut ein zartes Netz.<lb/> </p> </div> <div n="250"> <p> Das Zellengewebe (<foreign xml:lang="lat">Tela celluloſa</foreign> ſ. <foreign xml:lang="lat">Contex=tus<lb/> celluloſus</foreign>) beſteht aus einer ſehr feinen Haut,<lb/> <pb n="299"/> die in unendlich verſchieden geſtaltete Zellen<lb/> oder kleine Räume abgetheilt iſt, welche unter<lb/> ſich die genaueſte Verbindung haben. Wie oben<lb/> ſchon iſt bemerkt worden, nennt man auch daſ=ſelbe,<lb/> Fleiſch (<foreign xml:lang="lat">Parenehyma</foreign>, <foreign xml:lang="lat">Pars carnoſa</foreign>). Das<lb/> Mark unterſcheidet ſich vom gewöhnlichen Zel=lengewebe<lb/> durch ein blendendes Weiſs, durch<lb/> freyere kleinere mehr gedrängte Zellen, ſo daſs<lb/> es ſchwammartig ist.<lb/> </p> </div> <div n="251"> <p> Alle Theile eines Gewächses ſind mit dieſen<lb/> Gefäſsen verſehn. Sie finden ſich in der Wur=zel,<lb/> dem Stengel, Blättern, Blume, ja ſogar im<lb/> Griffel, in der Narbe und im Saamen. In der<lb/> Wurzel ſind die faſrigen Gefäſse ziemlich in der<lb/> Mitte, beſonders bey den kleinern; von ihnen<lb/> werden die Spiralgefäſse eingeſchloſſen, indeſs<lb/> die Markgefäſse durch das Zellengewebe laufen,<lb/> ſich auf die Häute der Gefäſse und der äuſsern<lb/> Haut der Wurzel ausbreiten. Es würde zu lang=weilig<lb/> ſeyn, hier jeden einzelnen Theil der Pflan=zen<lb/> zu erwähnen, da er ſich nicht im Bau der<lb/> Gefäſse von den übrigen unterſcheidet. Ab=weichungen<lb/> mancher Art finden zwar hier und<lb/> dort ſtatt, aber im Ganzen iſt doch der Bau der=ſelbe.<lb/> Alle dieſe Gefäſse entstehn auf dem<lb/> Punkte, wo Wurzel und Stamm ſich ſchei=den;<lb/> <pb n="300"/> ſie ſind dort in groſsen Bündeln verbun=den,<lb/> die ſich nach oben und unten in kleinere<lb/> vertheilen. Sie verbinden ſich durch kleinere<lb/> Bündel, die aus einem groſsen in den andern<lb/> ſich hinüberbeugen und mit ihm verwach=ſen.<lb/> Auf dieſe Art entſteht eine Anaſtomoſe,<lb/> die am ſtärkſten, wo neue Aeſte oder Knoten<lb/> treiben, in die Augen fällt, und da eine netzar=tige<lb/> feſte Verbindung macht. Auf der Haut en=digen<lb/> ſich alle diese Gefäſse in Löcher, Stacheln,<lb/> Haare oder Drüſen, um entweder Nahrung ein=zuſaugen,<lb/> oder Feuchtigkeiten auszudünſten.<lb/> Bey der Wurzel endigen ſich alle Gefäſse auf der<lb/> äuſsern Haut in einfache Löcher die Nahrung<lb/> an ſich ziehn; auf der Haut der jungen Zweige<lb/> und Blätter, zeigen ſich eine Menge Oeffnun=gen<lb/> die zur Einſaugung und Ausdünſtung be=ſtimmt<lb/> ſind, dieſe ſind zweyklappig und in gro=ſser<lb/> Menge yorhanden.<lb/> </p> <p> Die Blätter weichen von dem Stengel und<lb/> der Wurzel darin ab, daſs ein groſser Bündel<lb/> von Gefäſsen ſich auf der ganzen Fläche in viele<lb/> kleinere Bündel theilt, einzelne Gefäſse die ſich<lb/> von einem gröſsern Bündel trennen und mit<lb/> einem andern verbinden, bilden auf dieſe Art<lb/> Anaſtomoſen. Dergleichen Anaſtomoſen ma=chen<lb/> ein ſehr zartes Netz aus, was bey jeder<lb/> Pflanze anders gebildet iſt. Wenn die Anaſto=moſen<lb/> <pb n="301"/> der Gefäſse beſonders am Rande häufig<lb/> und ſtark ſind, ſo wird das Blatt ein ganzes (<foreign xml:lang="lat">fo=lium<lb/> integerrinum</foreign>), ſind aber keine Anaſtomo=ſen<lb/> am Rande und laufen kleine Gefäſsbündel<lb/> gerade aus, ſo wird nach den verſchiedenen<lb/> Graden wie dieſe Bündel ſich verlängen, das<lb/> Blatt gezähnt geſägt u. ſ. w. (<foreign xml:lang="lat">folium dentatum</foreign>,<lb/> <foreign xml:lang="lat">serratum</foreign> etc.). Eben ſo entſtehen die ſtachli=chen,<lb/> eingeſchnittenen und zuſammengeſetzten<lb/> Blätter. Das Netz welches die Gefäſse im Blatte<lb/> bilden wird mit einem. Zellengewebe bedeckt,<lb/> was aus beyden Seiten mit einer Haut übergezo=gen<lb/> iſt, nur in der Hauptrippe des Blatts zeigt<lb/> ſich bisweilen etwas Mark, aber niemals in der<lb/> Fläche. Der Stengel aber hat bey den meiſten<lb/> Gewächſen eine Markröhre. Der Kelch und<lb/> die Blumenkrone ſind wie das Blatt, die Staub=gefäſse<lb/> und der Stempel, wie der Stengel zu=ſammengeſetzt.<lb/> </p> </div> <div n="252"> <p> Daſs die drey verſchiedenen Arten der Ge=fäſse<lb/> zum Leben der Gewächſe nothwendig ſind,<lb/> und daſs in ihnen Saft zugeführt wird, iſt wohl<lb/> auſser allem Zweifel. Die faſrigen Gefäſse führen<lb/> von der Wurzel den Saft bis durch die kleinſten<lb/> Theile in die Höhe. Sie ſcheinen alſo zu eben<lb/> den Verrichtungen wie die Arterien im menſch=lichen<lb/> Körper beſtimmt zu ſeyn.<lb/> </p> <pb n="302"/> <p> Daſs die Spiralgefäſse Flüſſigkeit führten, hat<lb/> man ehemals beſtritten. Die erſten Entdecker<lb/> derſelben, Grew und Malpigh hielten ſie für<lb/> Luftgefäſse, und Moldenhawer glaubte daſs ſie<lb/> gar keine Luft ſondern nur Flüſſigkeit enlhielten.<lb/> Durch die mikroſcopiſchen Unterſuchungen des<lb/> Prof. Hedwig iſt es aber ausgemacht, daſs ſie<lb/> Luft und Saft zugleich führen. Der hohle Raum<lb/> den dieſe äuſserſt zarten Gefäſse beſchreiben,<lb/> enthält Luft, die feinen Röhren aber Saft.<lb/> </p> <p> Die Markgefäſse ſcheinen wegen ihrer Frei=heit<lb/> grobe flüſſige Waſſertheile zu enthalten nicht<lb/> fähig zu ſeyn, da ſie niemals ſich durch eine ge=färbte<lb/> Flüſſigkeit anfüllen laſſen. Einige haben<lb/> ſie für zurückführende Gefäſse erklärt, aber<lb/> man hat noch zu wenig beſtimmtes darüber, um<lb/> es mit Gewiſsheit beurtheilen zu können.<lb/> </p> <p> Das Zellengewebe und Mark iſt zur Aufnah=me<lb/> der überflüſsigen Feuchtigkeit bestimmt,<lb/> um durch die Ruhe worin ſich der Saft befindet,<lb/> ihn vermittelſt der Wärme noch ferner zu bear=beiten.<lb/> </p> </div> <div n="253"> <p> Man nimmt bey den Gewächſen keinen Um=lauf<lb/> der Säfte, wie im Thierreiche, an. Einſtim=mig<lb/> behaupten alle Naturforſcher, es ſey ein<lb/> bloſses Aufsteigen derſelben. Einige wenige wei=chen<lb/> nur darin ab, daſs ſie bey kaltem Wetter ein<lb/> <pb n="303"/> Rückwertsſteigen der Säfte annehmen. Die we=<lb/> nigen Erfahrungen, die über dieſen Punkt ange=ſtellt<lb/> ſind, beweiſen noch nicht deutlich, ob<lb/> nicht vielleicht einige zurückführende Gefäſse<lb/> im Pflanzenkörper ſich zeigen. So viel kanm<lb/> man aber mit Gewiſsheit behaupten, daſs die<lb/> gröſsern, nemlich die Faſer- und Spiralge=fäſse<lb/> ſowohl auf- als abwerts Säfte führen. Im<lb/> Sommer ſteigen in denſelben. die Säfte auf=werts<lb/> nach der Spitze zu, treiben Blätter, ſau=gen<lb/> durch dieſe Nahrung ein, und treiben im=mer<lb/> weiter, ſteigen aber niemals rückwerts nach<lb/> der Wurzel zu. Bäume und Sträucher, die im<lb/> Winter ihrer Blätter beraubt werden, treiben ihre<lb/> Säfte durch eben dieſe Gefäſse nach der Wurzel<lb/> hin. Die Wurzel wächſt bey gelindem Wetter<lb/> und die kleinen Würzelchen vergehn; statt der<lb/> alten wachſen alsdann durch den Trieb der Säfte<lb/> nach unten neue. Eben dies geſchieht bey im=mergrünen<lb/> Bäumen und Sträuchern, die in war=men<lb/> Klimaten wachſen, zur Regenzeit. Alle<lb/> Staudengewächſe verhalten ſich in dieſen Jahres=zeiten<lb/> auſ eben die Art.<lb/> </p> <p> Daſs ſie Arterien und Venen zugleich ſind, be=weiſen<lb/> noch deutlicher folgende Verſuche. Wenn<lb/> man zur Herbſtzeit einen Pflaumen- oder Kirſch=baum<lb/> mit dem Stamm umlegt, die Hälfte der<lb/> Wurzel entblöſst und die Hälfte der Krone mit<lb/> <pb n="304"/> Erde bedeckt, die entblöſste Wurzel ſorgfältig<lb/> mit Moos bewickelt, und den Baum bis zum ſol=genden<lb/> Herbſt ſo läſst; alsdann mit dem übrigen<lb/> Theil der Wurzel und Krone eben ſo verfährt, ſo<lb/> wird die Krone Wurzeln und die Wurzel Blät=ter<lb/> treiben. Was Wurzel war, iſt auf dieſe Art<lb/> Krone geworden, und im Somrner ſteigen die<lb/> Säfte nach oben. Man ſieht hieraus deutlich,<lb/> daſs die Faſer- und Spiralgefäſse auf- und ab=werts<lb/> Säfte führen können. Mit einem Weiden=baum<lb/> läſst ſich im Frühjahr dieſer Verſuch viel<lb/> leichter machen. Er läſst ſich ſogleich ganz um=kehren,<lb/> und man kann ſehr leicht bemerken, daſs<lb/> die Krone Wurzeln, die Wurzel Blätter hervor=bringt.<lb/> </p> </div> </div> <!-- chapter --> </div> <!-- book --> </body> </text> </TEI>