Lebenslauf 1979
Darstellung meiner Entwicklung
Mein Vater, August Machert, ist Triebfahrzeugführer bei der Deutschen Reichsbahn im Bahnbetriebswerk Wismar. Meine Mutter, Inge Machert geb. Friedländer, arbeitet als Sachbearbeiterin beim Wohnungsbaukombinat Rostock. Mein älterer Bruder leistet zur Zeit seinen Ehrendienst bei der NVA, der jüngere ist Schüler der Friedrich-Engels-Oberschule in Wismar.
Meine Eltern üben einen großen Einfluß auf mich aus. Ihre positive Einstellung zur Arbeit und ihr verantwortungsvolles Handeln im täglichen Leben habe ich mir schon früh zum Vorbild genommen.
Besonders beeindruckt mich die Qualifizierung meines Vaters. Seit 30 Jahren arbeitet er als Lokheizer. Im Winter des vergangenen Jahres nahm er an einem Lehrgang zur Weiterbildung teil. Nach den ersten Tagen wollte er resignieren, er glaubte, mit seiner 8-Klassen-Bildung sei er seinen jüngeren Kollegen um vieles unterlegen. Doch um seine Arbeitskollegen nicht zu enttäuschen, gab er nicht auf. Seine Zähigkeit und sein Wille zahlten sich aus: Die Abschlußprüfung bestand mein Vater mit der Note "3". Ich mußte erkennen, daß diese Note einen größeren Wert besitzt als so manche "1" oder "2" von mir in der Schule, da sie hart erarbeitet wurde und mit Selbstüberwindung verbunden ist. Ich dagegen nehme manchmal die "1" oder "2" wie selbstverständlich entgegen, ohne zu überlegen, wie sehr sich Mitschüler von mir freuen würden, wenn sie auch einmal diese Noten erreichen könnten. Ich habe meine Positionen überprüfen müssen, um beim späteren Studium auch schlechtere Noten in ihrem Wert anzuerkennen und auch Niederlagen überwinden zu können.
Nach dem Besuch der Vorschule wurde ich am 1. September 1969 in die Juri-Gagarin-Schule in Wismar eingeschult. Ich konnte erst nach den Herbstferien am Unterricht teilnehmen, da ich erkrankt war. Dadurch fiel es mir anfangs schwer, aktiv am Unterrichtsgeschehen teilzunehmen. Durch Beharrlichkeit und die Hilfe meiner Eltern schaffte ich es dennoch, die 1. Klasse mit guten Leistungen abzuschließen.
Auch in den folgenden Jahren war ich gezwungen, oft dem Unterricht fernzubleiben. Trotzdem konnte ich gute bis sehr gute Leistungen erzielen. (Ursache?)
In der 1. Klasse wurde ich in die Pionierorganisation aufgenommen und beteiligte mich rege am Pionierleben meiner Klasse. Da ich sehr zurückhaltend war, fiel es mir schwer, mich in der Klasse durchzusetzen. Das änderte sich in der Mittelstufe: Ich wurde selbstbewußter. Jetzt versuchte ich, durch eigene Aktivitäten das Pionierleben zu bereichern. In der 6. Klasse wurde ich in den Freundschaftsrat der Juri-Gagarin-Oberschule gewählt. Durch Gespräche mit meinen Eltern begann ich, mich für politische Probleme zu interessieren. Darum erklärte ich mich bereit, im Freundschaftsrat die Funktion des Agitators zu übernehmen.
Im 7. Schuljahr bekam ich das Buch "Olga Benario" von Ruth Werner geschenkt. Diese mutige Kommunistin, die noch auf dem Transport in den Tod ihren letzten Auftrag, die Wegroute aufzuzeichnen, mit einer großen Gewissenhaftigkeit und Ruhe ausführt, hat sich tief in mir eingeprägt. Ihre aufrecht Haltung habe ich mir zum Vorbild genommen.
Durch eine aktivere
Mitarbeit im Unterricht konnte ich meine Leistungen noch verbessern.
Seit dem 4. Schuljahr erhielt ich am Schuljahresende immer das Prädikat
"Auszeichnung".
In meiner Freizeit trieb ich Sport in der Sektion Leichtathletik der
Schulsportgemeinschaft. Dabei nahm ich in den Disziplinen Weit- und
Hochsprung an Vergleichswettkämpfen mit anderen Schulen und an
Kreismeisterschaften der Stadt Wismar teil. Ich konnte gute Plätze
belegen. Des weiteren las ich gern, besonders Gegenwartsliteratur. Zu
meinen Lieblingsautoren zählten Ruth Werner und Ruth Kraft, deren
Bücher ich auch heute noch gerne lese. (Bedeutg. f. Ihre
Entwicklg.!)
Das 8. Schuljahr war für mich sehr bedeutend. Im April 1977 nahm ich
an der Jugendweihe teil und wurde in den Kreis der Erwachsenen
aufgenommen.
In diesem Jahr traf ich die Entscheidung, mich für die Aufnahme in die
Vorbereitungsklasse der EOS zu bewerben. Bestärkt wurde ich dabei von
meinem Bruder, der zu der Zeit die 10. Klasse der erweiterten
Oberschule besuchte. Durch ihn wußte ich von den Forderungen, die an
einen Schüler dieser Bildungseinrichtung gestellt werden.
Meine Entscheidung wurde auch durch das Verhalten einer Mitschülerin
beeinflußt, die ebenfalls die EOS besuchen wollte. Sie sagte, daß meine
Eltern nur einfache Arbeiter seien und ich keine Beziehungen hätte, die
man brauche, um "etwas zu werden". Ich habe mich damals sehr geärgert
und mir insgeheim geschworen, alles daran zu setzen, um zu zeigen, daß
auch ein Arbeiterkind nicht schlechter lernt als die Tochter eines
Ingenieurs.
1976 trat ich in die FDJ ein und wurde in die Grundorganisationsleitung
meiner Schule gewählt. Dort war ich Vorsitzende des Agitatorenstabes.
Meine Aufgabe war es, die Agitatoren der einzelnen Klassen
anzuleiten.
Für meine geleistete Arbeit erhielt ich am Ende der 8. Klasse eine
einwöchige Reise in die VR Polen.
1976 trat ich der "Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft"
bei. Die Schüler der Juri-Gagarin-Oberschule haben einen sehr engen
Kontakt zu sowjetischen Mädchen und Jungen, da unsere Schule den
verpflichtenden Namen "Schule der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft"
trägt. Ich selbst schrieb mich seit der 6. Klasse mit 3 Leninpionieren.
Für meinen Beitrag zur DSF-Arbeit bekam ich 1977 die
Johann-Gottfried-Herder Medaille in Bronze überreicht.
Von der Juri-Gagarin-Oberschule wurde ich mit dem Beginn der 9. Klasse
zur EOS "Adolph Diesterweg" delegiert. Da ich schon früh an
selbständiges Arbeiten gewöhnt war, fiel mir der Übergang von der
polytechnischen zur erweiterten Oberschule nicht schwer. Ich mußte
jetzt aber mehr Zeit für meine Hausaufgaben aufbringen. Da ich in der
9. Klasse oft nicht die richtige Zeiteinteilung fand, saß ich manchmal
abends noch an den Hausaufgaben. Durch konkrete Zeitpläne für die
einzelnen Wochentage gelang es mir, die Zeit für Freizeit und Schule
richtig einzuteilen.
In unserer Klasse traten Lernschwierigkeiten auf. Wir versuchten, diese
durch Lernzirkel und Lernpatenschaften abzubauen. Im 9. Schuljahr
leitete ich einen Lernzirkel für Mathematik. Mir machte es Freude,
meinen Mitschülern zu helfen. Meine schulischen Leistungen änderten
sich nicht. Die 10. Klasse schloß ich mit dem Prädikat "Auszeichnung"
ab und erhielt die Lessing-Medaille in Gold.
Seit der 9. Klasse bin ich als Agitator in der FDJ-Leitung tätig. Ich
bin bestrebt, die Politdiskussionen problemreich und interessant zu
gestalten. Unsere Klasse war zu Beginn des 9. Schuljahres gegenüber
politischen Gesprächen noch sehr verschlossen. Mit Unterstützung der
FDJ-Leitung ist es mir gelungen, einen großen Teil meiner Mitschüler
zum offenen Meinungsstreit anzuregen.
In der 9. und 10. Klasse arbeitete ich als Zirkelassistent für das
FDJ-Studienjahr. Dort war es meine Aufgabe, die Verbindung zwischen dem
Zirkelleiter und der Klasse herzustellen. Am Ende des 9. Schuljahres
legte ich die Prüfung für das "Abzeichen für gutes Wissen" in Bronze
ab. 2 Jahre später wurde ich dann selber Zirkelleiter einer 9. Klasse.
Wir beschäftigten uns mit den Biographien von Marx und Engels. Oft
fehlte mir das Wissen, um jede Frage der FDJler richtig beantworten zu
können. Dadurch wurde ich angeregt, mich intensiver mit aktuellen
Problemen sowie dem Geschichtsstoff der vergangenen Jahre
auseinanderzusetzen. Meine Arbeit als Zirkelleiter hat mir geholfen,
meinen politischen Standpunkt zu festigen. Auch zukünftig möchte ich
aktiv am gesellschaftlichen Leben in unserem Staat beteiligt
sein.
Mein Klassenkollektiv übt einen großen Einfluß auf mich aus. Für mich
ist es wichtig, ständig Freunde um mich zu wissen, mit denen ich mich
über schulische sowie persönliche Frage austauschen kann, die mir
kritisch ihre Meinung sagen und die mir auch bei der Lösung von
Problemen helfen können.
In meiner Freizeit lese ich gerne. Dabei interessiere ich mich
zunehmend für die Lyrik der DDR. Seit der 9. Klasse besuche ich
regelmäßig Sinfonie- und Orgelkonzerte. Da ich gern singe, trat ich vor
3 Jahren in den FDJ-Chor der EOS ein. Im gleichen Jahr wurde ich
Mitglied in der allgemeinen Sportgruppe der Schulsportgemeinschaft. Ich
treibe Sport, um einen Ausgleich für die schulische Tätigkeit zu
haben.
Mein besonderes Interesse gilt der Geschichte. Schon immer zählten
Geschichte und Staatsbürgerkunde zu meinen Lieblingsfächern. Ich
beschäftige mich mit Literatur über archäologische Grabungen und bin
Mitglied einer Arbeitsgemeinschaft "Junge Historiker". Im Sommer 1979
hatte ich die Möglichkeit, an den Grabungen in Ralswiek auf Rügen
teilzunehmen.
Es beeindruckte mich, daß unsere Arbeit bei vielen Besuchern und
Einheimischen der Insel Rügen großen Anklang findet. Für mich ist es
eine schöne Aufgabe, bei der Aufdeckung alter Kulturschätze unseres
Volkes mitzuhelfen und sie den Menschen durch die Museen zugänglich zu
machen. Darum ist es mein Wunsch, Klassische Archäologie oder Ur- und
Frühgeschichte zu studieren.
Nach dem Studium möchte ich in einem Museum tätig sein. Sehr gerne
würde ich wieder in meine Heimatstadt Wismar zurückkehren.
1 / L.
(Ruth Reiher (Hg.) (1995): Mit sozialistischen und anderen Grüßen. Porträt einer untergegangenen Republik in Alltagstexten. Berlin, S. 82/84. – Namen wurden geändert.)